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Philipp Adam Palm, gen. "der alte Palm" (1806-1862)

Schneidermeister und "Original"

Wenn sich die alten Weiseler früher bei der Arbeit oder nach Feierabend lustige Geschichten und Anekdoten erzählten, durfte der "alte Palm" nicht fehlen. Er war am 30.10.1806 in Eschbach geboren und kam als Schneidermeister nach Weisel, wo er am 22.06.1862 starb. Seine erste Frau Eva Catharina Liepern aus Weisel starb schon 1834, ein Jahr nach der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter. Im gleichen Jahr heiratete er Maria Elisabeth Plies aus Niederwallmenach, mit der er weitere fünf Kinder hatte, von der nur zwei Töchter überlebten, darunter auch die im folgenden angesprochene Maria Karolina.

Die Erinnerung an ihn und seine unkonventionelle Art lebte noch bis in die 1960er Jahre fort. Schon 1913, mehr als 50 Jahre nach seinem Tod, erschien ein Beitrag über ihn von Christian Kappus in der Zeitschrift "Nassovia", Jg. 13, S. 32-34, aus dem im folgenden einige Passagen in der Originalschreibweise zitiert werden:

"(...) Seines Zeichens war er Schneider und wohnte im oberen Teile meines Heimatortes (Weisel) in einem kleinen, niedrigen Häuschen mit modrigem Strohdach und winzigen Fenstern. Es bot außer ihm und seiner Familie nur noch geringen Raum für etwas Kleinvieh, aber daran haperte es gewöhnlich wegen Futtermangels. Das äußere Gewand der Behausung trog nicht, wenn man es als Unterlage benutzte zum Schlusse auf die Beschaffenheit des Inneren und auf den Reichtum seiner Bewohner. Mit Glücksgütern war der "alte Palm" nicht gesegnet. Oft fehlte es ihm und den Seinen nicht allein am nötigen Brot, sondern auch an den heute so beliebten Kartoffeln, welche aber damals noch nicht in solchen Mengen angebaut wurden wie in unseren Tagen. An Fleisch durften seine beiden Kinder nur selten ihre Zähne erproben, nämlich nur dann, wenn eine mitleidige Bauersfrau ihnen ein Stückchen zum Mittagessen schenkte. Der Hunger tut weh, und es blieb den Kleinen gar oft nichts anderes übrig, als an die Tür wohlhabender Leute zu klopfen mit der Bitte: "Wääs (= Tante, sonst auch Base!), seid so gut und gebt mer'n Stück!" Luft sättigt nicht, und ein knurrender Magen läßt sich auch durch Philosophieren nicht trösten und beruhigen, besonders nicht bei Kindern. Viel besser gelang diese Kunst schon dem Vater, dem "alten Palm", der mit einem an Liederlichkeit streifenden Humor und Leichtsinn die Nöte und Bitternisse des Lebens zu überwinden und sich durch seine Schalkheit (wie sein Ur- und Spiegelbild Eulenspiegel) an den Mitmenschen schadlos zu halten suchte.

(...) Auf der Pritsche (Schneidertisch) sah man ihn nicht allzuoft und viel. Dem Manne mit der hageren, hungrigen Gestalt, den zwinkernden Äuglein und dem schalkigen Zug um den Mund fehlte das Sitzfleisch. Die Beschäftigung mit dem groben, knotigen Leinen der Bauern dünkte seinem Geiste zu prosaisch, das Nichtstun und Plänemachen aber desto süßer. So lag er denn lieber im offenen Fenster oder bummelte in den Dorfstraßen umher und uzte die Bauern, während er die Frau sorgen ließ. Deren Vorwürfe beantwortete er mit Spott und Allotria. "Lies", meinte er eines Tages zu ihr, wenn du auch so gut geheiratet hättest wie ich, dann hätten wir beide gut geheiratet." Das mochte der Trost der Frau sein, denn eine Anerkennung für sie war es, wenn auch jedenfalls eine recht sonderbare.

Und die Lies und die Kinder sorgten ferner, so gut sie es vermochten, wenn der Vater beim Schnapsglas in "Altbäckers" saß. Dort fand sich stets ein ganzer Klub Gleichgesinnter zusammen, deren wärmste Gefühle dem Branntwein galten. Palm war Vorsitzender der Runde und führte einst ein neues Mitglied mit einer längeren Rede ein, deren Motto lautete: "Wo Aas ist, da sammeln sich die Raben."

Dort gab er auch ein selbstverfaßtes Scherzrätsel auf, welches seine eigene Armut zum Gegenstande hatte. "Wie kommt es", sagte er, "daß ich ganze Strümpfe voll Karolin [damalige Währung, d. V.] habe und doch kein Geld?" Nach vergeblichen Anstrengungen der Zechgenossen gab er die Erklärung: "Meine älteste Tochter, die Karoline, geht in 2 Strümpfen, das macht mich aber nicht reich."

(...) Es war im Sommer. Palm saß am geöffneten Fenster auf dem Schneidertische und hörte die vorübereilenden Bauern laut klagen, daß ihnen der Wind großen Schaden an der Rapsernte verursacht habe; dazu drohte jetzt noch Regen. (Der ganze Bedarf an Speise- und Beleuchtungsöl wurde damals noch durch Raps- und Rübsenanbau von unsern Bauern selbst gedeckt, das "Baumöl" war fast noch unbekannt). Drum hieß es jetzt sich eilen, wenn man noch Körner und nicht nur leeres Stroh ernten wollte. Palm belustigte das geschäftige Laufen und die Sorge, und er rief ihnen daher ein schnell erdachtes Verschen zu:

"Ich hoan jo goar ka Not, De Wend verjoat mer kane Soot. (Rübsen und Raps) Es sch... mer ach ka Katz ins Korn, Es bricht mer ach ka Ochs ka Horn."

Eines Tages kommt einer seiner Kunden zu Palm, um ihn, wie es bei ihm üblich war, zur Anfertigung des Leinenkostüms zu ermuntern. Er findet ihn, bis zur Nase zugedeckt, im Bett liegen und fragt teilnehmend, was ihm denn fehle. "Ach", meinte der Schalk ganz treuherzig, "eigentlich nicht viel, meine Frau hat nur große Wäsche".

Sollte er im Winter einst einem Bauern beim Dreschen helfen. Der wartete nun schon frühmorgens bei angezündeten Rüböllichtern und -laternen auf Palm, aber der kam nicht. Der Bauer geht darauf zu seines Dreschers Fenster und klopft ihn mit der Mahnung, bald zu kommen, aus dem Schlafe. Doch die Winterkälte und der Gedanke an die bevorstehenden Anstrengungen sagten ihm nicht besonders zu, und er gab die doppelsinnige Antwort: "Jo, jo! es is jo anerla, ob ich dresche, awer leie bleiwe!" Sprach's und schlief weiter, der Bauer aber wartete vergeblich auf ihn.

Von seinem Schneidertische aus sah er eines Abends, wie sein Nachbar, welcher dasselbe Handwerk betrieb wie er, samt seinem Gesellen eingeschlafen war und wie beide mit den Köpfen nickten. Schnell zieht Palm die Schuhe aus, schwärzt seine Hand und läuft auf den Strümpfen ins Nachbarhaus. Dort bläst er das Licht aus und gibt Meister und Gesellen einen tüchtigen Backenstreich, worauf er verschwindet. Von draußen beobachtet er dann, wie sich die beiden gegenseitig anfahren und, nachdem sie das Licht wieder angezündet haben, mit verblüffenden Gesichtern betrachten.